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Wladimir Putin, Prдsident der Russischen Fцderation:

Wortprotokoll der Rede am 25. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag
(Simultanьbersetzung)

Sehr geehrter Herr Prдsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin aufrichtig dankbar fьr die Gelegenheit, hier im Bundestag zu Ihnen zu sprechen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, dass ein russisches Staatsoberhaupt in diesem Hohen Hause auftritt. Diese Ehre, die mir heute zuteil geworden ist, bestдtigt das Interesse Russlands und Deutschlands am gegenseitigen Dialog. Ich bin gerьhrt, dass ich ьber die deutsch-russischen Beziehungen sprechen kann, ьber die Entwicklung meines Landes sowie des vereinigten Europa und ьber die Probleme der internationalen Sicherheit - gerade hier in Berlin, in einer Stadt mit einem so komplizierten Schicksal.
Diese Stadt ist in der jьngsten Geschichte der Menschheit mehrmals zum Zentrum der Konfrontation beinahe mit der ganzen Welt geworden. Selbst in der schlimmsten Zeit - noch nicht einmal in den schweren Jahren der Hitler-Tyrannei - ist es aber nicht gelungen, in dieser Stadt den Geist der Freiheit und des Humanismus, fьr den Lessing und Wilhelm von Humboldt den Grundstein gelegt haben, auszulцschen.
In unserem Lande wird das Andenken an die antifaschistischen Helden sehr gepflegt. Russland hegte gegenьber Deutschland immer besondere Gefьhle. Wir haben Ihr Land immer als ein bedeutendes Zentrum der europдi-schen und der Weltkultur behandelt, fьr deren Entwicklung auch Russland viel geleistet hat. Kultur hat nie Grenzen gekannt. Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Vцlker verbunden.
Heute erlaube ich mir die Kьhnheit, einen groяen Teil meiner Ansprache in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant, in der deutschen Sprache, zu halten.

(Ende der Simultanьbersetzung)

(Beifall)

Sehr geehrte Damen und Herren, soeben sprach ich von der Einheit der europдischen Kultur. Dennoch konnte auch diese Einheit den Ausbruch zweier schrecklicher Kriege auf diesem Kontinent im letzten Jahrhundert nicht verhindern. Sie verhinderte ebenfalls nicht die Errichtung der Berliner Mauer, die zum unheilvollen Symbol der tiefen Spaltung Europas wurde.
Die Berliner Mauer existiert nicht mehr; sie ist vernichtet. Es wдre angebracht, sich heute daran zu erinnern, wie es dazu gekommen ist. Ich bin mir sicher, dass groяartige Verдnderungen in Europa, in der ehemaligen Sowjetunion und in der Welt ohne bestimmte Voraussetzungen nicht mцglich gewesen wдren. Ich denke dabei an die Ereignisse, die in Russland vor zehn Jahren stattgefunden haben.
Diese Ereignisse sind wichtig, um zu begreifen, was bei uns vor sich gegangen ist und was man von Russland in der Zukunft erwarten kann. Die Ant-wort ist eigentlich einfach: Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der Informationsgesellschaft konnte die totalitдre stalinistische Ideologie den Ideen der Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff die ьberwiegende Mehrheit der russischen Bьrger. Gerade die politische Entscheidung des russischen Volkes ermцglichte es der ehemaligen Fьhrung der UdSSR, diejenigen Beschlьsse zu fassen, die letzten Endes zum Abriss der Berliner Mauer gefьhrt haben. Gerade diese Entscheidung erweiterte mehrfach die Grenzen des europдischen Humanismus, sodass wir behaupten kцnnen, dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurьckfьhren kann.

(Beifall)

Was die europдische Integration betrifft, so unterstьtzen wir nicht einfach nur diese Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung. Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat. Aber hier - so vermute ich - wдre es angebracht, hinzuzufьgen: Auch Europa hat keinen Gewinn aus dieser Spaltung gezogen. Ich bin der festen Meinung: In der heutigen sich schnell дndernden Welt, in der wahrhaft dramatische Wandlungen in Bezug auf die Demographie und ein ungewцhnlich groяes Wirtschaftswachstum in einigen Weltregionen zu beobachten sind, ist auch Europa unmittelbar an der Weiterentwicklung des Verhдltnisses zu Russland interessiert.

(Beifall)

Niemand bezweifelt den groяen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mдchtiger und selbststдndiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Mцglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.

(Beifall)

Die ersten Schritte in diese Richtung haben wir schon gemeinsam gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Sicherheitsbereich haben wir in den letzten Jahren viel erreicht. Das Sicherheitssystem, welches wir in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen haben, wurde verbessert. Eine der Errungenschaften des vergangenen Jahrzehnts war die beispiellos niedrige Konzentration von Streitkrдften und Waffen in Mitteleuropa und in der baltischen Region. Russland ist ein freundlich gesinntes europдisches Land. Fьr unser Land, das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt, haben wir den Vertrag ьber das allgemeine Verbot von Atomtests, den Vertrag ьber die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention ьber das Verbot von biologischen Waffen sowie das START-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgten nicht alle NATO-Lдnder unserem Beispiel.
Da wir angefangen haben, von der Sicherheit zu sprechen, mьssen wir uns zuerst klar machen, vor wem und wie wir uns schьtzen mьssen. In diesem Zusammenhang kann ich die Katastrophe, die am 11. September in den Vereinigten Staaten geschehen ist, nicht unerwдhnt lassen. Menschen in der ganzen Welt fragen sich, wie es dazu kommen konnte und wer daran schuld ist. Ich mцchte diese Fragen beantworten. Ich finde, dass wir alle daran schuld sind, vor allem wir, die Politiker, denen einfache Bьrger in unseren Staaten ihre Sicherheit anvertraut haben. Die Katastrophe geschah vor allem darum, weil wir es immer noch nicht geschafft haben, die Verдnderungen zu erkennen, die in der Welt in den letzten zehn Jahren stattgefunden haben.
Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von einer Partnerschaft. In Wirklichkeit haben wir aber immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen. Trotz der vielen sьяen Reden leisten wir weiterhin heimlich Widerstand. Mal verlangen wir Loyalitдt zur NATO, mal streiten wir uns ьber die Zweckmдяigkeit ihrer Ausbreitung. Wir kцnnen uns immer noch nicht ьber die Probleme im Zusammenhang mit dem Raketenabwehrsystem einigen usw.
Tatsдchlich lebte die Welt im Laufe vieler Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Konfrontation zweier Systeme, welche die ganze Menschheit mehrmals fast vernichtet hдtte. Das war so furchterregend und wir haben uns so daran gewцhnt, in diesem Count-Down-System zu leben, dass wir die heutigen Verдnderungen in der Welt immer noch nicht verstehen kцnnen, als ob wir nicht bemerken wьrden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.

(Beifall)

Wir wollen oder kцnnen nicht erkennen, dass die Sicherheitsstruktur, die wir in den vorigen Jahrzehnten geschaffen haben und welche die alten Bedrohungen effektiv neutralisierte, heute nicht mehr in der Lage ist, den neuen Be-drohungen zu widerstehen. Oft streiten wir uns weiterhin ьber Fragen, die unserer Meinung nach noch wichtig sind. Wahrscheinlich sind sie noch wichtig. Aber wдhrenddessen erkennen wir die neuen realen Bedrohungen nicht und ьbersehen die Mцglichkeit von Anschlдgen - und von was fьr brutalen Anschlдgen!
Infolge von Explosionen bewohnter Hдuser in Moskau und in anderen groяen Stдdten Russlands kamen Hunderte friedlicher Menschen ums Leben. Religiцse Fanatiker begannen einen unverschдmten und groяrдumigen bewaffneten Angriff auf die benachbarte Republik Dagestan, nachdem sie die Macht in Tschetschenien ergriffen und einfache Bьrger zu Geiseln gemacht hatten. Internationale Terroristen haben offen - ganz offen - ihre Absichten ьber die Schaffung eines neuen fundamentalistischen Staates zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer angekьndigt, des so genannten Halifat oder der Vereinigten Staaten des Islam.
Ich will gleich hervorheben: Ich finde es unzulдssig, ьber einen Zivilisationskrieg zu sprechen. Fehlerhaft wдre es, ein Gleichheitszeichen zwischen Moslems im Generellen und religiцsen Fanatikern zu setzen. Bei uns zum Beispiel sagte man im Jahre 1999: Die Niederlage der Aggressoren beruht auf der mutigen und harten Antwort der Bewohner Dagestans - und die sind zu 100 Prozent Moslems.
Kurz vor meiner Abfahrt nach Berlin habe ich mich mit den geistlichen Fьhrern der Moslems in Russland getroffen. Sie haben die Initiative ergriffen und eine internationale Konferenz in Moskau unter der Losung durchgefьhrt: Islam gegen Terror. Ich finde, wir sollten diese Initiative unterstьtzen.

(Beifall)

Heutzutage verschдrfen sich nicht nur die Probleme, die wir schon kennen, sondern es entstehen auch neue Gefahren. In der Tat baut Russland zusammen mit einigen GUS-Lдndern eine reale Barriere gegen Drogenschmuggel, organisiertes Verbrechen und Fundamentalismus aus Afghanistan wie auch aus Zentralasien und dem Kaukasus in Richtung Europa auf. Terrorismus, nationaler Hass, Separatismus und religiцser Extremismus haben ьberall dieselben Wurzeln und bringen dieselben giftigen Frьchte hervor. Darum sollten auch die Kampfmittel gegen diese Probleme universal sein. Aber zuerst sollten wir uns in einigen grundlegenden Fragen einigen. Wir sollten uns nicht scheuen, die Probleme beim Namen zu nennen. Sehr wichtig ist es, zu begreifen, dass Untaten politischen Zielen nicht dienen kцnnen, wie gut diese Ziele auch sein mцgen.

(Beifall)

Natьrlich soll das Bцse bestraft werden; ich bin damit einverstanden. Doch wir mьssen verstehen, dass Gegenschlдge den vollstдndigen, zielstrebigen und gut koordinierten Kampf gegen den Terrorismus nicht ersetzen kцnnen. In diesem Sinne bin ich voll und ganz mit dem amerikanischen Prдsidenten einverstanden.

(Beifall)

Ich bin der Meinung, dass die Bereitschaft unserer Partner, gemeinsam Krдfte zu bьndeln, um diese realen Gefahren, die nicht erdacht sind, zu bekдmpfen, zeigt, wie ernst und zuverlдssig unsere Partner sind. Diese Gefahren kцnnen von fernen Grenzen unseres Kontinents in die Mitte des Herzens von Europa stechen. Ich habe schon mehrmals darьber gesprochen. Aber nach den Ereignissen in den USA brauche ich es nicht mehr zu beweisen.
Was fehlt heute, um zu einer effektiven Zusammenarbeit zu gelangen? Trotz allem Positiven, das in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, haben wir es bisher nicht geschafft, einen effektiven Mechanismus der Zusammenarbeit auszuarbeiten. Die bisher ausgebauten Koordinationsorgane geben Russland keine realen Mцglichkeiten, bei der Vorbereitung der Beschlussfassung mitzuwirken. Heutzutage werden Entscheidungen manchmal ьberhaupt ohne uns getroffen. Wir werden dann nachdrьcklich gebeten, sie zu bestдtigen. Dann spricht man wieder von der Loyalitдt gegenьber der NATO. Es wird sogar gesagt, ohne Russland sei es unmцglich, diese Entscheidungen zu verwirklichen. - Wir sollten uns fragen, ob das normal ist, ob das eine echte Partnerschaft ist.
Die Verwirklichung demokratischer Prinzipien in den internationalen Beziehungen, die Fдhigkeit, richtige Beschlьsse zu fassen, und die Bereitschaft zu einem Kompromiss - das ist eine schwierige Sache. Es waren aber ausgerechnet Europдer, die als Erste verstanden haben, wie wichtig es ist, nach einheitlichen Beschlьssen zu suchen und nationalen Egoismus zu ьberwinden. Wir sind einverstanden; dies sind gute Ideen. Die Qualitдt der Beschlussfassungen, deren Effizienz und letzten Endes die europдische und die internationale Sicherheit hдngen im Groяen und Ganzen davon ab, inwiefern wir diese klaren Grundsдtze heute in praktische Politik umsetzen kцnnen.
Noch vor kurzem schien es so, als wьrde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europдer nicht in цstliche und westliche, in nцrdliche und sьdliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten, und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgьltig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben.
Heute mьssen wir mit Bestimmtheit und endgьltig erklдren: Der Kalte Krieg ist vorbei.

(Beifall)

Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Groяeuropa mцglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevцlkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewдhrleisten.

Liebe Freunde, Gott sei Dank wird Russland in Europa heutzutage nicht nur im Zusammenhang mit Oligarchen, Korruption und Mafia erwдhnt. Aber nach wie vor herrscht ein groяer Mangel an objektiver Information ьber Russland. Ich kann mit Zuversicht sagen: Das Hauptziel der Innenpolitik Russlands ist vor allem die Gewдhrleistung der demokratischen Rechte und der Freiheit, die Verbesserung des Lebensstandards und der Sicherheit des Volkes.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen Rьckblick auf die jьngsten Ereignisse werfen: Russland ist den schmerzhaften Weg der Reformen gegangen. Zu den Maяstдben und Aufgaben, die wir zu lцsen hatten, gibt es in der Geschichte keine Analogien. Natьrlich wurden viele Fehler gemacht. Nicht alle Probleme sind gelцst. Aber zurzeit ist Russland ein дuяerst dynamischer Teil des europдischen Kontinents. Dabei ist das Wort "dynamisch" nicht nur im politischen, sondern auch im wirtschaftlichen Sinne gemeint, was besonders hoffnungsvoll zu sein scheint.
Die politische Stabilitдt in Russland wird dank mehrerer Wirtschaftsfaktoren sichergestellt, nicht zuletzt auch dank eines der liberalsten Steuersysteme in der Welt. Mit einer Einkommensteuer von 13 Prozent und einer Gewinnsteuer von 24 Prozent ist das wirklich so!

(Heiterkeit und Beifall)

Das Wirtschaftswachstum betrug im vorigen Jahr 8,3 Prozent. Fьr dieses Jahr ging man von nur 4 Prozent aus. Herauskommen wird hцchstwahrscheinlich ein Wachstum von ungefдhr 6 Prozent; sagen wir 5,5 bzw. 5,7 Prozent, mal sehen.
Gleichzeitig bin ich davon ьberzeugt: Nur eine umfangreiche und gleichberechtigte gesamteuropдische Zusammenarbeit kann einen qualitativen Fortschritt bei der Lцsung solcher Probleme wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und vieler anderer bewirken. Wir sind auf eine enge Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit eingestellt. Wir haben die Absicht, in unmittelbarer Zukunft zum Mitglied der Welthandelsorganisation zu werden. Wir rechnen damit, dass uns die internationalen und die europдischen Organisationen dabei unterstьtzen.

(Beifall)

Ich mцchte Ihre Aufmerksamkeit auf solche Dinge lenken, die Sie als Abgeordnete dieses Parlamentes sicher besser einschдtzen kцnnen und die nicht in den Bereich der Propaganda gehцren. Im Grunde genommen hat sich in unserem Staat ein Prioritдten- und Wertewandel vollzogen. Im Haushalt 2002 nehmen die Sozialausgaben den ersten Platz ein. Ich mцchte besonders betonen, dass zum ersten Mal in der Geschichte Russlands die Ausbildungsausgaben die Verteidigungsausgaben ьbertreffen.

(Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir, ein paar Worte zu den deutsch-russischen Beziehungen zu sagen - ich mцchte das gesondert betrachten -: Die russisch-deutschen Beziehungen sind ebenso alt wie unsere Lдnder. Die ersten Germanen erschienen Ende des ersten Jahrhunderts in Russland. Am Ende des 19. Jahrhunderts lag die Zahl der Deutschen in Russland an neunter Stelle. Aber nicht nur die Zahl ist wichtig, sondern natьrlich auch die Rolle, die diese Menschen in der Landesentwicklung und im deutsch-russischen Verhдltnis gespielt haben: Das waren Bauern, Kaufleute, die Intelligenz, das Militдr und die Politiker.

Zwischen Russland und Amerika liegen Ozeane. Zwischen Russland und Deutschland liegt die groяe Geschichte.Das schrieb der deutsche Historiker Michael Stьrmer. - Ich mцchte dazu feststellen, dass die Geschichte genauso wie die Ozeane nicht nur trennt, sondern auch verbindet.

(Beifall)

Es ist wichtig, diese Geschichte richtig zu deuten. Wie ein guter westlicher Nachbar verkцrperte Deutschland fьr Russen oft Europa, die europдische Kultur, das technische Denkvermцgen und kaufmдnnisches Geschick. Nicht zufдllig wurden frьher alle Europдer in Russland Deutsche genannt, die europдische Siedlung in Moskau zum Beispiel "deutscher Vorort".
Natьrlich war der kulturelle Einfluss beider Vцlker gegenseitig. Viele Generationen von Deutschen und Russen studierten und genieяen auch heute Werke von Goethe, Dostojewskij und Leo Tolstoj. Unsere beiden Vцlker verstehen die Mentalitдt des jeweils anderen Volkes sehr gut. Ein gutes Beispiel dafьr sind fabelhafte russische №bersetzungen deutscher Autoren. Diese sind sehr nahe an den Texten, erhalten den Rhythmus, die Stimmung und die Schцnheit der Originale. Boris Pasternaks №bersetzung des "Faust" ist in diesem Zusammenhang zu erwдhnen.

Meine Damen und Herren, in unserer gemeinsamen Geschichte hatten wir verschiedene Seiten, manchmal auch schmerzhafte, besonders im 20. Jahrhundert. Aber frьher waren wir sehr oft Verbьndete. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Vцlkern wurden immer durch enge Abstimmung und durch die Dynastien unterstьtzt.
№berhaupt spielten Frauen in unserer Geschichte eine besondere Rolle.

(Heiterkeit und Beifall)

Erinnern Sie sich zum Beispiel an die Tochter Ludwigs IV., des Fьrsten von Hessen-Darmstadt: Sie ist in Russland als Fьrstin Elisabeth bekannt. Sie hatte ein wirklich tragisches Schicksal. Nach dem Mord an ihren Mann grьndete sie ein Nonnenkloster. Wдhrend des Ersten Weltkrieges pflegte sie russische und deutsche Verletzte. Im Jahre 1918 wurde sie von Bolschewisten hingerichtet. Ihr galt eine allgemeine Verehrung. Vor kurzem wurde ihr Wirken anerkannt und sie wurde heilig gesprochen. Ein Denkmal fьr sie steht heute im Zentrum Moskaus.
Vergessen wir auch nicht die Prinzessin von Anhalt-Zerbst. Sie hieя Sophie Auguste Friederike. Sie leistete einen einzigartigen Beitrag zur russi-schen Geschichte. Einfache russische Menschen nannten sie Mutter. Aber in die Weltgeschichte ging sie als russische Zarin Katharina die Groяe ein.
Heutzutage ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, unser bedeutsamster Glдubiger, einer der Hauptinvestoren und maяgeblicher auяenpolitischer Gesprдchspartner. Um ein Beispiel zu nennen: Im vorigen Jahr erreichte der Warenumsatz zwischen unseren Staaten die Rekordhцhe von 41,5 Milliarden DM. Das ist vergleichbar mit dem Gesamtwarenumsatz zwischen den beiden ehemaligen deutschen Staaten und der Sowjetunion. Ich glaube nicht, dass man sich damit zufrieden geben kann und hier Halt machen darf. Es bleibt noch genug Spielraum fьr die deutsch-russische Zusammenarbeit.

(Beifall)

Ich bin ьberzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europдischen Hauses.

(Beifall)

Zum Schluss will ich die Aussagen, mit denen Deutschland und seine Hauptstadt vor einiger Zeit charakterisiert wurden, auf Russland beziehen: Wir sind natьrlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hьrden und Hindernisse zu ьberwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher - ganz aufrichtig und ehrlich gesagt - Ungeschicktheit schlдgt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches fьr eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geцffnet ist.
Ich bedanke mich.

(Anhaltender Beifall - Die Abgeordneten erheben sich)

(Schluss: 15.47 Uhr)

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